Politikerschelte anno 1902

„Der gegenwärtige Präsident der Vereinigten Staaten, Mr. Roosevelt, der nach dem Tode Mac Kinley’s die Leitung der Staatsgeschäfte für den ganzen Rest der Präsidentschaftsperiode (bis 1904) übernommen hat, soll so ziemlich dieselben Ansichten haben, wie der verstorbene Präsident Mac Kinley. Roosevelt hat mehr Pläne, doch scheint ihm die geistige Bedeutung und die aus ihr entspringende imposante Ruhe zu fehlen, die Mac Kinley auszeichnete. Roosevelt ist abenteuerlustiger Natur; früher Goldgräber, war er dann hauptsächlich Sportsman, und auf Cuba hat er sogar eine Heldenthat verrichtet.

 

Was jetzt von Leuten, die sich in Stellung befinden oder solche zu erlangen hoffen, an Reclame-Artikeln für den Präsidenten Mr. Roosevelt geleistet wird, grenzt ans Unglaubliche. Er fragt sich nur, ob er selbst das Alles lesen kann, umsomehr, al er einen grossen Theil seiner Zeit offenbar braucht, um sich photographieren zu lassen. Der eigentliche Act des Photographierens beansprucht ja allerdings nicht viel Zeit, aber Mr. Roosevelt wechselt ständig das Costüm. Bald lässt er sich im Familienkreis photographieren und bald im Staatskleid, bald als Cowboy und bald in seiner Obersten-Uniform, bald als Jäger und bald als Lawn-Tennis-Spieler, bald als Volksredner und bald als Schriftsteller am Schreibtisch, bald als Ruderer und bald als Holzhacker mit Wadenstrümpfen und dem Beil auf der Schulter. […] Betrachtet man die zahllosen Photographien in immer wechselnden Stellungen, so kommt man zu Ueberzeugung, dass die Union jetzt einen ausserordentlich arbeitsfreudigen Präsidenten hat.“ – Dillinger Zeitung am 10. Januar 1902.

Eine internationale Bartfrage

„Es gab eine Zeit, in welcher die Bartfrage von den Theologen, eine andere, in der sie von den Juristen und Regierungsmännern allen Ernstes besprochen wurde. Heute haben sich alle diese gelehrten Körperschaften friedlich ausgesöhnt, und es wird kaum mehr darüber einen Streit geben, ob die eine oder andere Form des Barttragens eine – Sünde oder gar ein Verbrechen sei. Umso mehr überrascht das Erscheinen einer Broschüre, welche lediglich den Schnurrbart oder vielmehr den verbotenen Schnurrbart  zum Gegenstand hat. Mit einer Leidenschaft und einem Feuer, daß man einem Maître de Hotel, als welchen sich der Autor bekennt, kaum zutrauen würde, wird da eine Lanze für den Schnurrbart bei Kellnern und Hotelbediensteten eingelegt. Der Autor sagt unter anderem: „Der Jüngling wird verhalten, daß Zeichen des herannahenden Mannesalters gewaltsam zu vernichten, und damit empfängt er den ersten Tropfen Gift des Hasses und des Neides, er fühlt die Erniedrigung angesichts seiner Mitmenschen, er hat nicht das Recht, ebenso Mensch zu sein, wie andere Menschen, da hast einen Fußtritt und schau, daß du unter die Wesen kommst, wohin du gehörst: unter die Affen und Hunde.“ In diesen Worten des Verfassers liegt der ganze Inhalt der Broschüre. Der Autor ist der Überzeugung, daß das gesamte Publicum die Kellner unterstützen wird, wenn „sie gegen das Verbot der Schnurrbarttragens opponieren, und fordert dazu auf, dem Rasiermessen für immer Abschied zu geben. Wenn man bedenkt, welche Rolle ein hübscher Schnurrbart oft zu spielen berufen ist, und vielleicht noch mehr, wenn man sich des Gefühls erinnert, welches das Schermesser unter der Nase hervorruft, wird man den Schmerzensschrei des Maître d’hotel begreifen. Eins ist sicher: das Wiener Publicum wird, schon aus Mitleid mit den verunstalteten Kellnern, für den Schnurrbart stimmen. Andererseits aber sollte der leidenschaftliche Verfasser der Streitschrift über  den Schnurrbart sich doch die Frage stellen, woher die Sitte stamme, daß Kellner und Hotelbedienstete keinen Schnurrbart tragen. Theilen sie nicht das Los der engloschen Reverends und französischen Advocaten? Diese Stände halten, schon ihrer äußerlichen Würde wegen, am längsten an alten Sitten. Vor hundert Jahren wäre ein Schnurrbart nur für den Soldaten – und vielleicht oft für diesen nicht, salonfähig gewesen. Die Conservativsten der Conservativen behalten die Sitte des Rasierens, wenigsten  was den Schnurrbart anbelangt, aus „Gesinnung“ bei. In adeligen Häusern, wo sogar die Form der Livree häufig noch dem vorigen Jahrhundert entnommen ist, hält man auch an diesem Gebrauche fest und verlangt von der Dienerschaft, daß sie den Schnurrbart opfere. Die Hoteldienerschaft aber soll dem reisenden Gentlemann seine eigene ersetzen, darum das Streben des Hoteliers, in Tracht und Sitte die Dienerschaft des Adels nachzubilden. Gar so schlimm steht die Sache, also mit der Tyrannei der Hotelbesitzer nicht. Andererseits müssen die revoltierenden Kellner siegen. Sie haben das ganze weibliche Geschlecht in dieser Frage für sich, und die Frauen behalten, wie bekannt, zuletzt immer Recht.Linzer Tages-Post vom 25.Juli 1888.

Sarkasmus anno 1784

Nachdem die von Nrn. Pitt eingebrachte Ostindienbill in den darüber gehaltenen Commissionen lange untersucht und vielfältig abgeändert worden ist, so wurde der Bericht der Commissionen am 26. Jul. im offenen Hause gelesen […]. In der Folge der Debatte Stand Hr. Sheridan auf, und machte in einer von Witz und Laune strotzenden, fast 3 Stunden langen Rede, eine Menge scharfer Einwendungen gegen die Boll. Die Abänderungen, welche die Bill erlitten, sprach er — wären so mannigfaltig, daß sie sich, so wie sie anfänglich eingebracht worden, gar nicht mehr ähnlich sähe. Die hinzugefügten Clauseln giengen, jede mit einem einzelnen Buchstaben bemerkt, von A bis Q; es wären ihrer in allem 21. Er hoffte also, daß noch jemand sich finden würde, der die fehlenden Buchstaben von X bis Z durch neue hinzuzufügende Clauseln ergänzen, und solchemnach das Alphabet vollständig machen, und dem jetzigen Ministerium ein vollständiges ABC Buch liefern würde. – Wiener Zeitung vom 18.08.1784.

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