“Es gab eine Zeit, in welcher die Bartfrage von den Theologen, eine andere, in der sie von den Juristen und Regierungsmännern allen Ernstes besprochen wurde. Heute haben sich alle diese gelehrten Körperschaften friedlich ausgesöhnt, und es wird kaum mehr darüber einen Streit geben, ob die eine oder andere Form des Barttragens eine – Sünde oder gar ein Verbrechen sei. Umso mehr überrascht das Erscheinen einer Broschüre, welche lediglich den Schnurrbart oder vielmehr den verbotenen Schnurrbart zum Gegenstand hat. Mit einer Leidenschaft und einem Feuer, daß man einem Maître de Hotel, als welchen sich der Autor bekennt, kaum zutrauen würde, wird da eine Lanze für den Schnurrbart bei Kellnern und Hotelbediensteten eingelegt. Der Autor sagt unter anderem: “Der Jüngling wird verhalten, daß Zeichen des herannahenden Mannesalters gewaltsam zu vernichten, und damit empfängt er den ersten Tropfen Gift des Hasses und des Neides, er fühlt die Erniedrigung angesichts seiner Mitmenschen, er hat nicht das Recht, ebenso Mensch zu sein, wie andere Menschen, da hast einen Fußtritt und schau, daß du unter die Wesen kommst, wohin du gehörst: unter die Affen und Hunde.” In diesen Worten des Verfassers liegt der ganze Inhalt der Broschüre. Der Autor ist der Überzeugung, daß das gesamte Publicum die Kellner unterstützen wird, wenn “sie gegen das Verbot der Schnurrbarttragens opponieren, und fordert dazu auf, dem Rasiermessen für immer Abschied zu geben. Wenn man bedenkt, welche Rolle ein hübscher Schnurrbart oft zu spielen berufen ist, und vielleicht noch mehr, wenn man sich des Gefühls erinnert, welches das Schermesser unter der Nase hervorruft, wird man den Schmerzensschrei des Maître d’hotel begreifen. Eins ist sicher: das Wiener Publicum wird, schon aus Mitleid mit den verunstalteten Kellnern, für den Schnurrbart stimmen. Andererseits aber sollte der leidenschaftliche Verfasser der Streitschrift über den Schnurrbart sich doch die Frage stellen, woher die Sitte stamme, daß Kellner und Hotelbedienstete keinen Schnurrbart tragen. Theilen sie nicht das Los der engloschen Reverends und französischen Advocaten? Diese Stände halten, schon ihrer äußerlichen Würde wegen, am längsten an alten Sitten. Vor hundert Jahren wäre ein Schnurrbart nur für den Soldaten – und vielleicht oft für diesen nicht, salonfähig gewesen. Die Conservativsten der Conservativen behalten die Sitte des Rasierens, wenigsten was den Schnurrbart anbelangt, aus “Gesinnung” bei. In adeligen Häusern, wo sogar die Form der Livree häufig noch dem vorigen Jahrhundert entnommen ist, hält man auch an diesem Gebrauche fest und verlangt von der Dienerschaft, daß sie den Schnurrbart opfere. Die Hoteldienerschaft aber soll dem reisenden Gentlemann seine eigene ersetzen, darum das Streben des Hoteliers, in Tracht und Sitte die Dienerschaft des Adels nachzubilden. Gar so schlimm steht die Sache, also mit der Tyrannei der Hotelbesitzer nicht. Andererseits müssen die revoltierenden Kellner siegen. Sie haben das ganze weibliche Geschlecht in dieser Frage für sich, und die Frauen behalten, wie bekannt, zuletzt immer Recht. – Linzer Tages-Post vom 25.Juli 1888.